Zum Ende des Jahres 2016 und der zweiten und damit letzten Amtsperiode des (noch) US-amerikanischen Präsidentens Barack Obama versetzte ein diplomatischer Paukenschlag das politische Treiben in Aufruhr. Acht Jahre nach Beginn seines Amtsantritts verzichtete Obama auf das übliche Veto der USA gegen Resolutionen des Uno-Sicherheitsrat zu völkerrechtswidrigen Siedlungen der israelischen Regierung in Palästina. Der Sicherheitsrat beschloss, was allen längst klar sein sollte – die israelischen Siedlungen im Westjordanland haben keine Legitimität und sind ein Verstoß gegen internationales Recht.
Die Frage danach, was einen imperialistischen Kriegsverbrecher, dessen Drohnen den Nahen Osten seit fast einem Jahrzehnt verwüsten und der Israel das größte militärische Hilfspaket der US-Geschichte vermachte, dazu bewegt hat, auf sein Vetorecht zu verzichten, ist nicht Ziel dieses Artikels (ein Kommentar dazu kann beispielsweise hier gefunden werden). Noch ist es unser Ziel, gerade bürgerliche Instanzen wie die UN, die selbst eine bedeutende historische Rolle bei der Kolonisierung Palästinas spielte, als dessen selbstlosen Retter zu verklären. Unser Anliegen ist, diese Resolution zu kontextualisieren und als natürliches Resultat einer Reihe von politischen Prozessen der Kolonisierung Palästinas darzustellen. Des Weiteren sollen auch Konsequenzen für solidarisches und konstruktives Handeln für Palästina gezogen werden.
Die Grauzone bricht weg
Die neue UN-Resolution selbst, wie so viele andere vor ihr, halten wir für zahnloses Gerede ohne jegliche realpolitische Konsequenzen. Um einiges interessanter aber sind die Reaktionen auf die Resolution, da diese uns mehr über die reale Lage vor Ort verraten. Sie waren es, die den letzten Nagel in den Sarg einer von westlichen Regierungen realitätsfern hochgehaltenen Zweistaatenlösung trieben, die dem zionistischen Staat nach wie vor lediglich als Feigenblatt zur Kolonisierung des Landes diente. Der US-Imperialismus unter Führung der Demokraten versuchte in Gestalt seines Sprachrohres Kerry auch in den letzten Atemzügen noch, die Zweistaatenlösung aus dem Sarg zu wuchten und in weitere Jahre des künstlichen Komas zu versetzen. Ein komatöser Zustand, in dem sich naive Geister bereits Jahrzehnte befanden und vergebens auf die ihnen von einer berechnenden Bourgeoisie verheißene Zweistaatenlösung mit anschließendem Frieden warteten. Währenddessen führt Israel seine kriechende ethnische Säuberung – im Jordantal und Jerusalem, in Gaza und in der Naqab – weiter fort.
Infolge der Resolution legten sowohl die Regierungskoalition unter Netanjahu als auch die angeblich “liberale” Opposition dieses Feigenblatt ab, um sich im nackten Antlitz auf der Weltbühne zu präsentieren. Nicht nur, dass die UN jetzt auch in die Liste der antisemitischen Institutionen aufgenommen wurde. Auch die Ziele des Zionismus werden nach dieser Resolution endlich auch deutlich vorgetragen – für die israelische Regierung geht es um “Großisrael”, einen jüdischen Staat vom Jordan bis zum Meer. Jetzt, wo die Maske gefallen ist, kann endlich Klartext gesprochen werden.
Für uns in der Solidaritätsbewegung ist dieses Entblößen ein Schritt nach vorn. Es zeigt das wahre Gesicht des Zionismus. Die Grauzone des sogenannten “liberalen Zionismus” – seit jeher ein Oxymoron – diese unüberwindbare Kluft zwischen jüdisch und demokratisch, zwischen unverblümter Kolonisierung und Gleichberechtigung für alle, bricht weg – und mit ihr die Lüge der Zweistaatenlösung. Ein Palästina in Form von voneinander isolierten Entitäten in Gazastreifen und Westjordanland wird niemals eine Verwirklichung erleben. Jedoch bleibt die Hoffnung auf die Entkolonisierung ganz Palästinas. Palästina ist tot, es lebe Palästina!
Which side are you on?
Für sogenannte “Liberale” löst sich damit eine Komfortzone auf, in der sie sich jahrelang verkriechen konnten. Auch sie sehen sich letzten Endes mit harten Wahrheiten konfrontiert: Die Zweistaatenlösung ist imperialistische Propaganda. Die zionistische Bewegung ist eine Kolonialbewegung, die auf ein Großisrael hinarbeitet. Sie kann nicht anders, sie konnte nie anders.
Die zionistische Bewegung ist eine Bewegung für eine Ethnokratie – für einen jüdischen Staat auf mehrheitlich arabisch bevölkertem Gebiet. Eine “liberale” Form dieses rassistischen Vorhabens existiert nicht. Entweder man ist für die Ethnokratie oder dagegen, entweder man ist Zionist*in oder Antizionist*in. Auch die deutsche Linke kann sich nicht mehr davor drücken, für oder gegen Rassismus Stellung zu beziehen.
In dieser Entscheidung sind der bürgerliche Staat und seine medialen Ausspielkanäle hierzulande bereits fest im Sattel – Zionismus ist Staatsräson. Beispielhaft verdeutlicht wird diese Entscheidung, wenn wie zum Zeitpunkt dieses Artikels bürgerliche deutsche Medien einen LKW-Angriff auf israelische Besatzungssoldat*innen in Ostjerusalem als “Terrorakt” in “Israel” deklarieren. Da entlarvt sich der Widerspruch der Zweistaaten-Lüge: Der Zionismus und seine Unterstützer*innen wollen uns glauben machen, die koloniale Situation in Palästina sei ein Konflikt zwischen zwei Staaten. Wenn aber Menschen aus dem einen “Staat” sich gegen das Militär des anderen wehren – und das in einem Gebiet, das selbst nach internationalem Gesetz und der UN Palästina gehört – gilt das als Terror, als Angriff auf Unschuldige auf deren souveränem Staatsgebiet. Und exakt das ist das wahre Gesicht der Zweistaatenlösung – Palästina ist ein Staat, solange es den expansionistischen Vorhaben des Zionismus nicht im Wege steht, solange es die Rückkehr der Vertriebenen von 1948 nicht verlangt, solange es sich der zionistischen Herrschaft stillschweigend unterwirft.
Die Lüge der Zweistaatenlösung hilft dem Zionismus auch, seine “Teile-und-herrsche”-Strategie fortzusetzen, indem sie Palästina in “gute” und “schlechte” Untertanen unterteilt. Auf der einen Seite besteht die Palästinensische Autonomiebehörde als “guter” Partner, solange sie weiterhin als reines Verwaltungsorgan der Besatzung fungiert und der Welt die Fabel eines angeblichen Friedensprozesses schmackhaft verkauft. Auf der anderen Seite steht der von Israel als Terrorismus dämonisierte Widerstand, wozu laut israelischer Regierung sowohl militanter Widerstand als auch die Boykottbewegung BDS zu zählen sind – also prinzipiell all das, was den Status Quo gefährdet und den Palästinenser*innen Gleichberechtigung verschaffen könnte.
Solidarität statt Illusionen
Was aber können wir tun, um diesen unhaltbaren Status Quo einer gemächlichen Vernichtung beenden zu können? Auf leeres Gerede der UN, EU oder anderer bürgerlicher Instanzen zu hoffen, wird den Palästinenser*innen keinen Nutzen erbringen. Einen “Friedensprozess” gibt es nicht, es hat ihn auch nie gegeben. Genauso bestehen keine Absichten seitens des Zionismus, jemals auch nur einen Zentimeter Land für einen palästinensischen Staat abzutreten. Von dem Traum der Zweistaatenlösung muss sich verabschiedet werden – und das hätte spätestens nach der verheißungsvolle Heuchelei der Oslo-Abkommen geschehen sollen. Wir in der Solidaritätsbewegung, und erst recht die Palästinenser*innen, können es uns nicht leisten, in 20 Jahre alter Vergangenheit zu schwelgen. Gleichberechtigung, Frieden und Gerechtigkeit werden nie in die Region zurückkehren, solange wir uns an Begrifflichkeiten klammern, die sich bereits vor Jahrzehnten als falsch und verlogen erwiesen haben. Jetzt gilt es, endlich die Zukunft ins Visier zu nehmen.
Und die Optionen für die Zukunft sind offensichtlich – Gerechtigkeit und einhergehender Frieden können lediglich durch Gleichberechtigung erfolgen. Gleichberechtigung kann nur durch einen Staat gesichert werden, in dem alle Menschen gleich sind, in den die Vertriebenen zurückkehren dürfen, in dem keine Ethnie Privilegien gegenüber anderen genießt. Der Weg dorthin kann nur über ehrliche Solidarität führen – die Graswurzelarbeit, die Boykott-Kampagne und der klare Ruf nach der Entkolonisierung und Entzionisierung Palästinas. Bis wir dort angelangt sind, haben wir in Deutschland noch eine lange Strecke zurückzulegen. Große Teile der Linken hierzulande erträumen sich noch gerade da liberalen Reformismus, wo eigentlich revolutionäre, antirassistische Lösungen geboten wären. Die deutsche Linke muss sich von den Illusionen trennen, die sie konformistisch mit “Liberalen” und der gesellschaftlichen Mitte teilte. Es ist höchste Zeit, der Realität ins Auge zu schauen und klar und deutlich zu rufen: From the river to the sea, Palestine will be free!