Eine Stellungnahme von F.O.R. Palestine
Vorgetragen bei Saeed Amirehs Redebeitrag, Berlin, Dezember 2015
„All die Raketen, die von bewaffneten palästinensischen Gruppen verwendet wurden, sind ungesteuerte Geschosse, die nicht präzis auf spezifische Ziele anvisiert werden könnten und von Natur aus willkürlich sind; die Verwendung solcher Waffen ist unter internationalem Gesetz verboten, und ihre Umsetzung stellt ein Kriegsverbrechen dar.“
Bericht von Amnesty International, 26.3.2015
„Damit das Prinzip von Gewaltfreiheit funktioniert, muss dein Gegner ein Gewissen haben.“
Stokely Carmichael
Wir sind heute hier in Solidarität mit dem Volkswiderstand von Ni´lin, Bil´in, Al-Nabi Saleh und allen Dörfern des Westjordanlandes, die gegen zionistischen Landraub kämpfen. Wir sind hier in Solidarität mit dem Kampf der Jugendlichen auf den Straßen Al-Khalils, Al-Quds oder Bethlehems, die sich mit Steinen und Küchenmesser gegen bewaffnete Eindringlinge erheben, gegen außergerichtliche Hinrichtungen, tägliche Unterdrückung und Kollektivstrafen. Wir sind hier in Solidarität mit dem Kampf in Gaza, mit dem Widerstand mit allen möglichen Mitteln und Formen gegen Belagerung, gewollter Hungersnot und Massaker aus der Luft, Land und Meer.
Wir wurden heute eingeladen, um den gewaltfreien Widerstand zu zelebrieren – Aber was ist gewaltfrei an der Situation in Palästina?In Ni’lin, Bil’in, Al- Nabi Saleh und weiteren Orten, welche wir für ihren gewaltfreien Widerstand hervorheben, wurden Demonstrant*innen ermordet. In ganz Palästina wurden mehr als 100 Menschen alleine in den letzten zwei Monaten ermordet. Die Zionistische Besatzung ist pure Gewalt, daher hat der Widerstand nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, alle möglichen Mittel, auch den Griff zum Gewehr, dagegen anzuwenden.
Gewaltfreies zu verherrlichen, heißt den bewaffneten Kampf, durch Negation, zu delegitimieren. Ist gewaltfreier Widerstand der einzige, zu dem wir solidarisch stehen, sprechen wir anderen Formen des Widerstands das Existenzrecht ab. So definiert der hegemoniale Diskurs von Außen die Bedingungen unserer Solidarität. Wenn Amnesty den gewaltfreien Kampf unterstützt und befürwortet und gleichzeitig den militärischen Widerstand in Gaza als Kriegsverbrechen verurteilt, so schreibt Amnesty unterdrückten Menschen vor, wie sie gegen ihre Unterdrücker kämpfen sollen.
Wir müssen uns fragen, worauf basiert unsere Solidarität? Basiert sie darauf, mit Menschen zu stehen, die für ihre Freiheit kämpfen, oder basiert es darauf, unsere Standard auf die Kämpfe anderer Menschen aufzwingen? In einer Zeit, in der der palästinensische Volkswiderstand von pro-Zionistischen und reaktionären Kräften als Terrorismus gebrandmarkt ist, weil er es wagt, Küchenmesser gegen bewaffnete und gepanzerte Siedler zu erheben, in so einer Zeit für Gewaltlosigkeit zu werben bedeutet den pro-Zionistischen Diskurs zu akzeptieren und zu befürworten. Organisationen wie Amnesty International verstärken und unterstützen diesen Diskurs, demzufolge eine selbst-gebaute Rakete gegen einen Kampfjet ein Kriegsverbrechen ist.
Leider versuchen heute viele Strömungen der Linke im Westen, genauso wie der reaktionäre „liberale Zionismus“, den grundlegenden Widerspruch des Zionismus zu kaschieren: Es kann keine halbe Entkolonialisierung geben, es kann keine wahre Solidarität mit den Unterdrückten geben, während gleichzeitig der Unterdrücker legitimiert wird. Jede Solidarität mit Palästina, die nicht die Abschaffung der zionistischen Kontrolle über dem ganzen historischen Palästina fordert, sucht die Quadratur des Kreises: sie träumt davon, „Menschenrechtsverletzungen“ verschwinden lassen zu können, innerhalb eines Systems, das besetzt, kolonisiert und unterdrückt, ein System, das selbst eine massive Menschenrechtsverletzung ist. Diese selektive Solidarität negiert die Tatsache, dass Israels „Existenzrecht“ mehr als sechs Millionen palästinensischen Geflüchteten genau dasselbe Recht verweigert, innerhalb und außerhalb des Landes. Reaktionäre NGOs und sogenannte „Menschenrechtsorganisationen“ benutzen Gewaltlosigkeit als ein Mittel der Herrschaft und Kontrolle, indem sie nur diejenigen unterstützen, die sich ihren Bedingungen unterwerfen. So wie der Boden Palästinas, der Hektar nach Hektar von den Zionisten geraubt wird, bis Nichts mehr bleibt, so werden auch die Gebiete des legitimen Widerstandes Stück für Stück weggenommen, bis der einzige Weg, mit dem der Kampf gegen Panzer und Bomben erlaubt ist, das Bewerfen von Papierfliegern aus Amnesty-International Flyern ist.
Wenn für uns Solidarität an Bedingungen geknüpft ist, d.h. nur wenn sie unsere eigenen Interessen und Weltanschauungen durchsetzt, brauchen wir erst gar nicht solidarisch sein. Wir sind heute hier, um den langjährigen Widerstand von Saeed zu grüßen, den Widerstand der Menschen von Ni´lin, der Menschen des Westjordanlandes, der Menschen Palästinas. Alle Formen ihres Widerstandes sind legitim, weil ihr Widerstand an sich legitim ist. Solange, dass sie für ein freies Palästina kämpfen, werden wir an ihrer Seite stehen.
Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand im ganzen historischen Palästina und weltweit!
Boykottiert Israel!