Aktionen und Demonstrationen am 18. März, dem internationalen Tag der politischen Gefangenen, sind Ausdruck der Solidarität mit den Unterdrückten. Sie sollen daran erinnern, dass international Menschen, aufgrund ihrer Ideen und Überzeugungen und aufgrund ihres Widerstands, die Freiheit genommen wird und sie stellvertretend für alle Widerstandsleistenden und Kämpfenden mit ihrer Freiheit bezahlen.
In Teilen der sogenannten „linken Szene“ Deutschlands, die der hiesigen Definitionsmacht und Staatsräson hörig bleiben, herrscht Konsens darüber, wem an diesem Tag solidarisch gedacht werden soll, wessen Erfahrungen und Narrative auf die Straße gebracht werden dürfen und welche Perspektiven „nur Unruhe“ auf einem Plenum erzeugen würden.
Anlass dieses Statements sind die Geschehnisse um das Bündnis 18. März in Berlin. Auf dem Bündnistreffen wurde BDS-Berlin aus dem Bündnis ausgegrenzt, woraufhin eine Spaltung und Auflösung des Bündnisses stattfand – mit besonderem Nachdruck und Eifer der Berliner Rote Hilfe. Die internationale BDS-Kampagne respektiert den Aufruf der palästinensischen Zivilgesellschaft von 2005, Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen ihren Besatzer, genannt Israel, zu erwirken. Dabei orientiert BDS sich an drei grundlegenden Forderungen: Die Beendigung der Besatzung und der Kolonisation Palästinas samt dem Abriss der Apartheidsmauer, die vollständige Gleichberechtigung der palästinensischen Bevölkerung und die Inkraftsetzung des Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge. Weltweit setzt die BDS-Bewegung zur Erreichung dieser Ziele kontextsensible Taktiken ein. Jede Palästina-Solidaritätsgruppe unterstützt daher selbstverständlich den BDS-Aufruf – auch wenn deren Forderungen, wie unsere, über diese drei grundlegenden Rechte der Palästinenser*innen hinausgehen mögen.Die Kritik und die Ausgrenzung der Kampagne bedeutet somit die Ausgrenzung aller solidarischen Menschen und impliziert die Ablehnung einer Forderung der palästinensischen Zivilgesellschaft, ihrer grundlegenden Rechte und ihres Widerstandes. Der Boykott ist eine historische Kampfform der Unterdrückten. Zum Ablauf:
Die Spaltung begann mit Vorwürfen der Soli-Gruppe GG/BO (Gefangenengewerkschaft) und der Roten Hilfe. Die Vertreter*innen der Gruppe BDS-Berlin wurden physisch aus den Räumen vom Nav-Dem entfernt. Die Vertreterin des Vereins Nav-Dem äußerte sich solidarisch mit dem palästinensischem Befreiungskampf und versuchte vergeblich zu deeskalieren. Nur die Vertreter*innen des Kurdistan-Soli-Komitees und der Katalonien-Soli-Gruppe widersprachen dem Ausschluss von BDS. NEA, “Freiheit für Mumia Abu Jamal“ und Nav-Dem positionierten sich erst einmal nicht gegen den Ausschluss und ließen dadurch die Akteur*innen Soli-GG/BO und Rote Hilfe gewähren.
BDS wurde von einem Vertreter der Roten Hilfe vorgeworfen, sie seien nicht eingeladen worden, sie seien Reformist*innen, hätten keine politisch linke Agenda und würden nichts für Gefangene tun. Außerdem würde BDS „gegen Juden“ und „gegen Israel“ sein. Letztere sind Vorwürfe, die der Rhetorik zionistischer Propaganda entsprechen und sie müssen daher auch als solche benannt werden. Dabei spielt es keinerlei Rolle, ob sich die Gruppen teilweise als antizionistisch beschreiben würden oder nicht. Die internationale BDS-Bewegung bekämpft die Kollaboration mit der zionistischen Gefangenenindustrie durch Konzerne wie HP und die Unterstützung der Kampagne ist gerade unter palästinensischen politischen Gefangenen enorm. Keine der drei Forderungen von BDS widerspricht einer politisch linken Agenda. So verwundert es auch nicht, dass in der internationalen revolutionären Linken nicht BDS, sondern solche, die die Menschenrechtsbewegung anfeinden, aus Linken Strukturen herausgehalten werden. Ein Beispiel ist die Ausladung Jutta Ditfurths von der Konferenz „Souveränität und Selbstbestimmung“. Sobald die katalanische Candidatura de Unidad Popular (CUP) von der Propaganda der ehemaligen Linken gegen die internationale BDS-Kampagne erfuhr, war für sie eine Zusammenarbeit ausgeschlossen. Die politische Isolation von Teilen der deutschen Linken wegen ihrer reaktionären Haltung zu Palästina wird sich durch die Ablehnung von BDS weiter intensivieren. Auch wir sind nicht bereit, uns dem nationalen Duktus zu unterwerfen. Bedingungslose Solidarität mit Palästina ist indiskutabler Standard innerhalb der globalen Linken.
Angeregt durch Gedächtnisprotokolle von Einzelpersonen wurde die Ausgrenzung der Kampagne beim dritten Treffen kontrovers diskutiert. Dieser unsolidarische Akt wurde berechtigterweise kritisiert und aufgezeigt, wenn die Art der Veröffentlichung auch problematisch gewesen sein mag. Die Gruppen F.O.R-Palestine (For One State and Return in Palestine), Kurdistan Solidaritätskomitee und der Catalania-Soli forderten die Rücknahme des Ausschlusses und eine inhaltliche Aufarbeitung des Vorfalls.Die Gruppe „Freiheit für Mumia Abu-Jamal“ erklärte sich solidarisch mit der internationalen BDS-Kampagne, Nav-Dem stimmte der Rücknahme ebenfalls zu.Verschiedene Gruppen wie die Rote Hilfe Berlin und die „North-East-Antifa“ enthielten sich in der Frage der Wiedereinladung von BDS. Immer mit der Argumentation, sie seien „strömungsübergreifende Gruppen“, die sich nur lokaler Politik gegen die AFD und den deutschen Rechtsruck widmen, und da sie auch sogenannte „Anti“deutsche in ihren Gruppen hätten, könnten sie sich dazu nicht positionieren. „Anti“deutsche oder andere Rechte in Gruppen zu dulden, hat nichts mit einer „strömungsübergreifenden“ Struktur zu tun, sondern ist eine explizite Öffnung nach rechts und ein Einknicken vor dem Rassismus der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Lokale von globaler Politik zu trennen und damit Solidarität für Unterdrückte zu verweigern, ist für uns gleichbedeutend mit einer Absage an den Internationalismus und nationenübergreifende Solidarität. Zum Glück sahen das die anderen Gruppen ebenso wie wir, wie deren demokratische Entscheidung verdeutlichte. Aufgrund der mehrheitlichen Forderung, BDS wieder einzuladen, kam ein Vertreter der Kampagne zum fünften Treffen. Während dieses Treffens löste die Rote Hilfe Berlin das Bündnis auf und riss die Organisation an sich. Lediglich unter ihrer Deutungshoheit zensierte Redebeiträge der anderen Gruppen wurden als Alternative zugelassen.**(Weitere Details zum Ablauf können gerne nachgefragt werden)**
Zu den Konsequenzen:
Im Laufe der sehr hitzigen Diskussionen wurden einige Punkte schnell klar:
Die Rote Hilfe Berlin hatte bereits die meisten selbstorganisierten Gruppen, die internationalistische Schwerpunkte thematisieren und die letztes Jahr maßgeblich an der Organisation der Demonstration zum 18. März beteiligt gewesen sind, nicht wieder eingeladen. Diese waren unter anderem die demokratischen Komitees Palästinas, BDS-Berlin, FOR-Palestine sowie auch iranische und türkische Gruppen. Die Rote Hilfe begründete diese ausschließende und unserer Ansicht nach zumindest latent rassistische Einladungspolitik damit, dass sie kein Konfliktpotenzial auf den Orga-Treffen haben wollte. Lieber wurden lokale „Antifa“-Gruppen eingeladen, die sich zu den Gefangenen in zionistischen Gefängnissen anscheinend nicht öffentlich äußern dürfen, da sie sonst die Gefühle der deutschen Staatsräson, des deutschen Imperialismus und des völkisch-nationalen Selbstverständnisses verletzen könnten. Gruppen, die direkte biografische oder thematische Bezüge zu politischen Gefangenen haben, wurden hingegen übergangen. Auch wenn sich Einzelpersonen der genannten Gruppen selbst als Palästina-solidarisch bezeichneten, so schien das in Hinblick auf die Einladungspolitik und die Zusammensetzung ihrer Gruppen wenig glaubwürdig. Rassist*innen in den eigenen Reihen zu dulden ist das Gegenteil von antirassistischer Arbeit. Das Privileg, Persönliches von Politischem trennen zu können, wurde ebenso wenig reflektiert wie das Privileg, sich jeder Zeit aus den Kämpfen der Unterdrückten zurückzuziehen, wenn es einmal brenzlig wird. Die Betroffenen, deren Familien seit Generationen von Imperialistischer Aggression, Kolonialismus und politischer Haft betroffen sind und die mit ihnen solidarischen Personen wurden als „laut“ und „emotional“ verunglimpft und mundtot gemacht – was im Übrigen ein hilfreiches Mittel ist, um die vermeintlich „neutrale“ Haltung der Nichtinvolvierten, die das Unterdrückungsverhältnis akzeptieren, zu stärken und Unterdrückungmechanismen gegeneinander auszuspielen. Wir sehen diesen Akt des Ausschlusses und das Auflösen des Bündnisses durch die Rote Hilfe als Ausdruck eines tiefverwurzelten Rassismus gegenüber Palästinenser*innen und anderen Menschen aus der Region des sogenannten „Nahen und Mittleren Ostens“ – eines Rassismus also, der hierzulande hegemonial und staatstragend ist. Menschen, die sich selbstverständlich und ohne Wenn und Aber gegen das bereits vor 1948 begonnene zionistische Kolonialprojekt in Palästina aussprechen und bedingungslose Solidarität zeigen, als „laut“ und „emotional“ anzugreifen ist rassistische Praxis, die ihre verständliche physische wie psychische Involvierung in diese Kämpfe kleinredet. Betroffenen Personen ihre Narrative, ihren Schmerz, ihre Wut und in diesem Kontext besonders die Wichtigkeit ihrer politischen Gefangenen zu nehmen ist Machtmissbrauch auf Basis von gesellschaftlichen Privilegien und zeigt, wie unreflektiert diese Gruppen sind und agieren. Sie wollen Migrant*innen zwar als Aushängeschild, als nützliche „Quote“, aber doch bitte ohne ihre Geschichten und ihre Wut. Sie wollen Migrant*innen zwar in ihren Reihen, aber rassistische Behauptungen lassen sie weiterhin zu, während sie deren Lebensrealitäten und das Existenzrecht der Vertriebenen der immer noch andauernden Nakba von 1948 negieren. Sie stellen ihre Narrative über die der Betroffenen, die der Unterdrückten, die der politischen Gefangenen. Politische Gefangene scheint es nur unter ihnen in Deutschland zu geben. Sie vergessen und missachten die politischen Gefangenen der kurdischen, türkischen und palästinensischen Genoss*innen in den europäischen Knästen und natürlich die weltweit Inhaftierten, die Widerstand gegen Imperialismus, Kapitalismus, Patriarchat, Rassismus und Kolonialismus leisten. Das Bündnis stand im Gegensatz zur Bedeutung dieses Tages! Hier wurden solidarische Gruppen und Einzelpersonen aufgrund ihrer antifaschistischen, antikolonialen, antirassistischen und antiimperialistischen Haltung mundtot gemacht. Ihre Praxis wurde als illegitime, unwichtige, ferne Regionalpolitik abgetan, die hier in Berlin keine Relevanz habe, da Berlin, wie es uns scheint, nur eine weiß-deutsche Geschichte zulässt. Es geht nicht darum, den sogenannten „Nahost-Konflikt“ von hier aus zu lösen, sondern in Europa, in Berlin, überall die Ideologie und Macht, die diese regionalen Zustände ermöglichen, anzuprangern und zu bekämpfen. Es geht darum, internationale Solidarität zu praktizieren.
Der 17. April ist der Tag der palästinensischen Gefangenen. Wir wollen diesen Tag auch zum Tag aller politischen Gefangenen ausrufen. Wir sind der Ansicht, dass unserer Kämpfe uns vereinen und dass jede/r politische Gefangene auch ein Teil unser aller Geschichte ist und ein Teil des Kampfes gegen den Kapitalismus und seine Unterdrückungmechanismen: Imperialismus, Kolonialismus, Zionismus und Patriarchat.
Wir laden alle, die sich angesprochen fühlen, ein, an diesem Tag, gemeinsam mit uns, derer zu gedenken, die für uns mit ihrer Freiheit bezahlt haben und weiterhin bezahlen. Sie dürfen nicht in Vergessenheit geraten und wir dürfen den Kampf niemals aufgeben.