Am 6. März 2017 drängen israelische Besatzungssoldaten in das Flüchtlingslager Qaddura in der Nähe der Innenstadt Ramallahs ein, des angeblich autonomen palästinensischen Gebietes. Dass die Besatzungskräfte durch Zusammenarbeit mit der palästinensischen Autonomiebehörde in solchen Territorien dermaßen frei agieren können, ist symbolisch für den Kampf des Mannes, dessen Leben sie bis zum Morgengrauen genommen haben werden.
Möglicherweise werden die Umstände des Gefechts nie geklärt werden, an dessen Ende die Leiche des Aktivisten und Intellektuellen Basil Al-Araj zwischen blutbefleckten Büchern, einer Kuffiyeh und einem Gewehr ruhte. Klar ist derweil, dass seine Leiche daraufhin von den Besatzern entführt worden ist und seiner Familie elf Tage entrissen blieb. Spekulationen darüber, was in dieser Nacht genau geschah, überlassen wir den Medien. Uns interessiert die Person, ihr Widerstand und politisches Erbe.
Alle Formen des Widerstands verkörpern
Basil Al-Araj war ein Aktivist, Intellektueller und Widerstandskämpfer. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit beruhte im Kampf gegen Normalisierung und die Kollaboration der PA mit dem zionistischen Staat – jene Kollaboration, die ihn während seines kurzen Lebens der Inhaftierung und der Folter unterzog, ihn in den Untergrund zwang und letztendlich ermordete.
Basil verstand wie kaum ein anderer, dass intellektuelle Arbeit ohne praktischen Widerstand bloß leeres Gerede ist, dass Widerstand ohne Theorie aber, ohne Analyse und Verständnis der Breite der Aspekte, nie effektiv genug sein kann. Er war ein Schüler des palästinensischen Widerstandes vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu den letzten Tagen seines Lebens. Er hat die Aufstände der 30er Jahre genauso wie die Einzelangriffe der letzten Jahre studiert, theoretisiert und analysiert. Sein eigener Werdegang führte ihn durch alle Formen des palästinensischen Widerstandes, von dem gewaltfreien Widerstand seines Dorfes Al-Walaja sowie an Zivilkämpfe angelehnte direkte Aktionen wie „The Freedom Riders“ bis zum bewaffneten Widerstand und seinen letzten Monaten im Untergrund. Er verstand die Wichtigkeit der Jugendarbeit und des Kontaktes mit der eigenen Bevölkerung. Er weigerte sich, an versteinerten Gruppierungen festzuhalten oder sich an solche zu binden. Seine Autonomie als revolutionärer Linker behielt er sich bis zu seinem letzten Atemzug bei.
In seinem Unterschlupf, neben Blutflecken und der Tasse kalten Kaffees, hinterließ er auch seine Bücher. Internationale linke und marxistische Theorie war ihm nicht fremd: Fanon, Shariati, Gramsci. Wie ihre eigene wurde auch Basils Theorie und intellektuelle Arbeit im Gefängnis geschmiedet. 2016 wurde er von der palästinensischen Autonomiebehörde verhaftet, in Isolationshaft gesteckt und gefoltert. Mit anderen Genoss*innen begann er einen Hungerstreik, um Aufmerksamkeit für diese Zustände zu erregen. PA-Präsident Mahmmoud Abbas war aber auf ihre Inhaftierung besonders stolz. „Der Spiegel“ erzählte er, es sei der Beweis, wie effizient die PA mit Israel zusammenarbeitet. Das ist die Strategie der Autonomiebehörde, um politische Gegener*innen und Konkurrenz zum Schweigen zu bringen und sich den Weg für ihren neoliberalen Kurs freizumachen. Dafür ist auch, wenn auch im geringeren Maß, die Hamas in Gaza bekannt, der dazu jedoch die Möglichkeit zur direkten Kollaboration mit dem zionistischen Staatsapparat fehlt.
Basil fiel immer wieder exakt den Normalisierungsprozessen, die er selbst scharf kritisierte, zum Opfer. Nach seiner Entlassung wusste er, dass er untertauchen musste, weil der gemeinsame Apparatus der PA und des Zionismus ihn im Visier hatte. Andere seiner Genoss*innen wurden sofort nach der Entlassung von zionistischen Besatzungskräften verhaftet und erneut inhaftiert – dieses Mal in israelischen Gefängnissen. Basil ging in den Untergrund, bis die Besatzungskräfte ihn, aufgrund der Kooperation mit der Autonomiebehörde, fanden und hinrichteten.
Basils Erbe weitertragen
Sein Mord hat eine Reihe von Demonstrationen auf der ganzen Welt ausgelöst, vor allem aber im Westjordanland. Dort erheben sich die Menschen nicht nur gegen die zionistische Besatzung an sich, sondern auch gegen die eigene Bourgeoisie, die herrschende Klasse, die sie und ihre Interessen für neoliberalen Profit, für Hypotheken, für Rawabi und die Bank of Palestine an die Besatzung verkauft. Prompt unterdrückte die PA die Proteste mit brutaler Gewalt. Zwischen der nationalen Befreiung und dem Kapital, bleibt ihre Position und Entscheidung klar. Den Menschen, die sich sowohl unter dem Stiefel des israelischen Militärs als auch dem Schlagstock der PA-Polizei immer wieder bücken müssen, nur um mit erhobenem Haupt weiterzukämpfen, gilt unsere volle Solidarität. Und die Menschen erheben ihr Haupt ebenso im Gaza, wo Linke Demonstrationen gegen die ebenfalls bürgerliche Herrschaft der Hamas organisierten.
Und wir halten an Basils Erbe fest: Dass die Rolle des Intellektuellen ohne praktisches Engagement nichtig ist, dass die Dialektik der Schreibfeder und der Pistole eine Voraussetzung für den revolutionären Kampf darstellen muss. Dass der Kampf auch immer gegen die eigene herrschende Klasse geführt werden muss und dass es keinen Frieden unter Unterdrückung und ohne Gerechtigkeit geben kann. Aus diesem Erbe lernen wir und zeigen uns solidarisch mit den Menschen, die gegen ihre doppelte und dreifache Unterdrückung auf die Straße gehen – gegen die zionistische Besatzung, die Kollaboration der PA und die Ausbeutung durch die eigenen Bourgeois, deren Instrument die PA ist, so wie sie ein Instrument der Besatzung ist.
“Wenn du ein Intellektueller sein möchtest, musst du ein involvierter Intellektueller sein. Wenn du ablehnst, ein solcher zu sein, besteht kein Nutzen darin, intellektuell zu sein.”