Die jüngsten Einigungsbestrebungen der bürgerlichen Parteien Fatah und Hamas unter der Schirmherrschaft Ägyptens erwecken vielerorts Hoffnung – so auch im von der Außenwelt abgeschnittenen Gazastreifen. Unerwähnt bleibt bei den Verhandlungen, dass diese nicht etwa einem plötzlichen Ruf des Gewissens, sondern der politischen Schwäche ihrer politischen Akteure geschuldet sind. Für die palästinensische Bevölkerung und ihren Widerstand können die Entwicklungen desaströse Konsequenzen bereithalten.
Ägypten – Schirmherrschaft zum Schirmen eigener Herrschaft
Die vom Imperialismus gestützten arabischen Regime weisen neben der Niederschlagung der ausgebeuteten Massen eine lange Tradition des Verrates an den unterdrückten Palästinenser*innen auf. Sollte dieses Verhältnis nun gerade auf Geheiß der ägyptischen Regierung, der sich seit Mitte 2007 an der Blockade des Gazastreifens beteiligt und dessen Lebensader, das Tunnelsystem, systematisch vernichtet, eine Wendung erfahren? Sollte gerade Militärdiktator el-Sisi den Wandel herbeiführen, wo er doch dem zionistischen Kolonialprojekt militärische Unterstützung zusichert und Araber*innen dazu auffordert, die Feindschaft gegenüber ihm zu beenden?
Keineswegs. Der ägyptische Diktator sucht vielmehr nach einer Möglichkeit, die einst regional zentrale Rolle Ägyptens zurückzuerlangen und Kontrahenten zu schwächen. Grund für die Einbußen sind die brutale Unterdrückung der eigenen Bevölkerung, die Anbiederung an den US-Imperialismus sowie seinen saudischen Satelitenstaaten sowie die für diese geführten Kriegszüge in Yemen, Lybien und anderswo. Zum Aufpolieren des Images der ägyptischen Konterrevolution soll nun der geschwächte und geopolitisch weitgehend isolierte Ableger der Muslimbrüder Hamas verhelfen, während Mitglieder*innen der Mutterorganisation im Inland weiterhin brutal verfolgt werden.
Oslo, die zweite?
Abgesehen vom Iran, der den militanten Widerstand der Palästinenser*innen wiederum zum eigenen Nutzen instrumentalisiert, ist die im Gazastreifen herrschende Hamas auf die Unterstützung des mittlerweile selbst politisch isolierten Katar angewiesen. Der Militärputsch gegen die Muslimbruderschaft in Ägypten versetzte ihrer Position einen weiteren Schlag. Auch im Gazastreifen selbst sitzt die Hamas trotz autoritärer Unterdrückungsmaßnahmen nicht fest im Sattel. Neben Protest der einfachen Bevölkerung und Erpressungsmethoden der mit Israel kollaborierenden PA bereiten ihr auch vermehrt Angriffe konkurrierender islamistischer Strömungen Kopfschmerzen. All dies trifft die Zivilbevölkerung und die Arbeiter*innen im Gazastreifen wie so oft am härtesten. Dieser Zustand geschwächter Machtposition und materieller Abhängigkeit wirkt sich aber ebenso auf die Taktik der Hamas-Administration im Gazastreifen aus. Mit ihr sind sowohl Zugeständnisse zur Zweistaatenlösung als auch ein allmähliches Abrücken vom militanten Kampf zu erklären, wobei letzterer die Hauptursache des Machterhalts der Gruppierung darstellt. Die Lage, in der Hamas sich befindet, wirft nicht nur oberflächlich Parallelen zur Situation, in der sich die PLO vor den Oslo-Abkommen befand, auf. Auch die Reaktion der Besatzungsmacht lässt derartige Schlüsse zu.
Entwaffnung ist keine Option für Unterdrückte!
Dass die reaktionäre Bourgeoisie des Unterdrückerstaates eine Einigung nicht kategorisch ablehnt, sollte bei Sozialist*innen Skepsis hervorrufen. Netanjahu selbst forderte „lediglich“, dass eine „zukünftige palästinensische Regierung den militanten Flügel der Terrororganisation [Hamas] auflösen, jegliche Verbindungen zum Iran abbrechen und den Staat Israel anerkennen” müsse. Die letzte Anforderung wurde durch die Hamas bereits erfüllt. Schon werden also Stimmen der Besatzer*innen laut, die eine Entwaffnung der aktuell bedeutendsten Repräsentation des palästinensischen Widerstandes fordern. Wir vergessen nicht, wozu die einseitige Entwaffnung und Anerkennung des Kolonialprojektes durch die PLO geführt hat. Wir vergessen nicht, dass das sogenannte „Friedensabkommen“ nur destruktive Folgen für den palästinensischen Befreiungskampf bereithielt und die verfahrene Situation überhaupt erst ermöglichte. Wir vergessen nicht die Worte, die Lenin bezüglich der Entwaffnung der Unterdrückten wählte:
“Sozialist*innen können nicht gegen jeden Krieg sein, ohne damit aufzuhören, Sozialist*ìnnen zu sein. Man darf sich durch den jetzigen imperialistischen Krieg nicht blenden lassen. Für die imperialistische Epoche sind gerade solche Kriege zwischen „Großmächten” typisch, aber auch demokratische Kriege und Aufstände, z. B. Kriege unterdrückter Nationen gegen ihre Unterdrücker, für ihre Befreiung von der Unterdrückung, sind keineswegs unmöglich. […]
Eine unterdrückte Klasse, die nicht danach strebt, die Waffenkenntnis zu gewinnen, in Waffen geübt zu werden, Waffen zu besitzen, eine solche unterdrückte Klasse ist nur wert, als Sklave behandelt zu werden. Wir dürfen, ohne uns zu bürgerlichen Pazifist*innen und Opportunist*innen zu degradieren, nicht vergessen, dass wir in einer Klassengesellschaft leben und dass außer dem Klassenkampf und der Niederwerfung der Macht der herrschenden Klasse keine Rettung daraus möglich und denkbar ist.”
Für Sozialist*innen erfolgt daraus in Bezug auf den palästinensischen Befreiungskampf eine Doppelstrategie: wie es revolutionäre Sozialist*innen in Palästina nun während der Verhandlungen fordern, ist es essentiell, dass die Waffen in den Händen des Widerstandes der unterdrückten Palästinenser*innen bleiben. Es ist ebenso essentiell für Sozialist*innen, dass die Bewaffnung des palästinensischen Proletariats mit der Intention geschieht, dass der Kampf um vollendete Befreiung sowohl gegen die zionistischen Unterdrücker*innen als auch gegen die eigene Bourgeoisie geführt werden muss. Die einseitige Entwaffnung des militanten Widerstandes jedoch kann nur zu Gunsten der Unterdrückernation ausfallen und ist ohne wenn und aber abzulehnen.